
Immer wieder kommt die Frage auf was der Unterschied, zwischen den Ballistische Schutzklassen, der amerikanischen NIJ Standard und der deutschen Technischen Richtlinie Ballistische Schutzwesten (TR) ist.
Auf den ersten Blick bestehen viele Gemeinsamkeiten:
5 Schutzstufen und teils ähnliche Kaliber. Allerdings bestehen auch etliche Unterscheide, die nicht gleich ersichtlich sind. So kann nicht pauschal gesagt werden das der NIJ Standard oder die deutsche TR besser ist. Es kommt viel mehr darauf an, welcher Bedrohungslage sich der Träger gegenüber sieht und auf welche Eigenschaften er Priorität setzten möchte. Wird Multi-Hit-Schutz oder Schutz für großem Kaliber priorisiert? Geringes Gewicht oder Traumareduktion?
Je nach Anforderungen empfiehlt sich ein anderer ballistischer Standard. Um Unklarheiten auszuräumen wird sich dieser Blogeintrag mit den zwei ballistischen Standards auseinandersetzten, ihre Besonderheit erklären und hoffentlich helfen den passenden ballistischen Standard für die jeweiligen Anforderungen zu finden.
Ballistische Schutzklasse NIJ Standard 0101.06
NIJ Standard ist der ballistische Standard des amerikanischen National Institut of Justice. Seit dem Jahr 1972 ist er in den USA der einzige nationale akzeptierte Standard und hat sich darüber hinaus auch Weltweit als führender Standard etabliert. Ziel des NIJ Standards war es zu bestimmen welche Leistung Ballistik mindestens erbringen muss und diese minimalen Anforderungen zu etablieren.
Der NIJ Standard 0101.06 ist der aktuelle amerikanische Standard aus dem Jahr 2008. Er teilt sich in 5 Schutzklassen auf:
Typ IIa, Typ II, Typ IIIa, Typ III und Typ IV.
- NIJ IIa : Schutz gegen Geschosse aus „üblichen“ Faustfeuerwaffen
- NIJ II : Schutz gegen Geschosse aus Faustfeuerwaffen
- NIJ IIIA : Schutz gegen Geschosse aus allen Faustfeuerwaffen und Maschinenpistolen
- NIJ IIII : Schutz gegen normale Geschosse aus Langwaffen
NIJ IV: Schutz gegen Hartkern-Geschosse aus Langwaffen
Die ballistischen Anforderungen der Klassen stellen sich wie folgt dar:
Typ | Kaliber | Geschossart | Masse | Geschwindigkeit |
---|---|---|---|---|
IIa | 9 x 19 mm .40 S&W | Full Metal Jacketed (Vollmantel) | 8,00 Gramm | 373 +/- 9.1 m/s |
II | 9 x 19 mm | Full Metal Jacketed (Vollmantel) | 8,00 Gramm | 398 +/- 9.1 m/s |
.357 Magnum | Jacketed Soft Point (Teilmantel) | 6,00 Gramm | 436 +/- 9.1 m/s | |
IIIa | .357 SIG (9 x 22 mm) | Full Metal Jacketed Flat Nose (Vollmantel mit Flachkopf) | 8,1 Gramm | 448 +/- 9.1 m/s |
.44 Magnum | Semi Jacketed Hollow Point (Teilmantel Hohlspitz) | 15,6 Gramm | 436 +/- 9.1 m/s | |
III | .7.62 x 51 mm (M80) | Steel Jacketed (Stahl-Vollmantel) | 9,6 Gramm | 847 +/- 9.1 m/s |
IV | 7.62 x 63 mm (M2 AP) | Armor Piercing (Stahlhartkern) | 10,8 Gramm | 878 +/- 9.1 m/s |

Prüfverfahren nach NIJ: So werden ballistische Schutzwesten getestet
Die National Institute of Justice (NIJ)-Norm beschreibt ein klares Verfahren zur Prüfung von ballistischen Schutzwesten – abhängig vom Schutzlevel und der Art der Munition.
Beschusswinkel und Anzahl der Schüsse
Für die Schutzklassen IIa bis IIIa sieht das NIJ-Prüfverfahren insgesamt 6 Schüsse pro ballistische Einlage vor:
- 4 Schüsse werden frontal im 0°-Winkel abgegeben (sog. NATO-Winkel),
- je ein Schuss bei 30° und 45° trifft die Einlage schräg von der Seite.
Ab Schutzklasse III erfolgt der Beschuss ausschließlich im 0°-Winkel:
- 6 Schüsse bei Level III
- 1 bis 6 Schüsse bei Level IV (je nach Munition und Konfiguration)
Beschussdistanzen
Die Schussdistanzen variieren je nach Schutzstufe:
- Bei Typ IIa bis III wird aus 5 Metern Entfernung geschossen.
- Bei Typ IV beträgt die Distanz 15 Meter.
Zusätzliche Tests: Nasstest und Verschleißprüfung
Neben dem reinen Beschusstest werden bei den Klassen IIa bis IIIa auch Klimabelastungstests durchgeführt – insbesondere der sogenannte Nasstest:
Die ballistische Einlage wird dabei 30 Minuten lang vertikal in 21 °C warmes Wasser getaucht, anschließend für 10 Minuten abtropfen gelassen.
Ziel dieses Tests ist es, die Funktionstüchtigkeit der Schutzwirkung unter Nässe zu prüfen. Die Einlage darf nach Wassereinwirkung keinen Leistungsabfall zeigen – ein kritischer Aspekt für den realen Einsatz unter widrigen Bedingungen.

Technische Richtlinie TR: Der deutsche Standard für ballistischen Körperschutz
Die Technische Richtlinie Ballistische Schutzwesten (TR) ist der ballistische Standard in Deutschland. Auf Basis der TR beziehen die Polizei und die Bundeswehr ihre ballistische Schutzausstattung. Die technische Richtlinie existiert seit dem Jahr 1979 und ist vor allem im deutschsprachigen Raum ein etablierter Standard. Er hat allerdings nie eine Verbreitung wie der amerikanische NIJ Standard erfahren. Daher ist die TR international gesehen ein Nischen Standard. Nichtsdestotrotz Besitz der deutsche Standard einige Besonderheiten die nicht zu unterschätzen sind.
Ballistische Schutzklasse TR – Technische Richtlinie für Schutzwesten
Die Technische Richtlinie Ballistische Schutzwesten (TR) stammt – wie auch der amerikanische NIJ Standard 0101.06 – aus dem Jahr 2008. Auch sie unterteilt ballistische Schutzwesten in fünf Schutzklassen, unterscheidet sich jedoch vom NIJ-Standard dadurch, dass jede Klasse in der TR eine konkrete Definition hinsichtlich der Bedrohungslage und Munitionsart enthält.
Die Schutzklassen der TR im Überblick:
Klasse L:
Schutz gegen Geschosse aus „üblichen“ Faustfeuerwaffen. Diese Klasse richtet sich vor allem gegen gängige Pistolenmunition mit niedriger Energie.
Klasse 1:
Schutz gegen Geschosse aus Maschinenpistolen. Diese Klasse berücksichtigt die höhere Energieausbeute von automatischen Kurzwaffen.
Klasse 2:
Schutz gegen Geschosse aus allen Faustfeuerwaffen. Hier ist ein erweiterter Schutz gegenüber leistungsstärkerer Pistolenmunition gegeben.
Klasse 3:
Schutz gegen normale Geschosse aus Langwaffen. Diese Klasse ist für Bedrohungen durch Jagd- oder Sturmgewehre mit konventioneller Munition ausgelegt.
Klasse 4:
Schutz gegen Hartkern-Geschosse aus Langwaffen. Diese Klasse bietet Schutz vor panzerbrechender oder spezieller militärischer Munition mit besonders hoher Durchschlagskraft.
Die TR orientiert sich teilweise an den Einstufungen des NIJ-Standards, legt jedoch den Fokus stärker auf einsatzspezifische Anforderungen im deutschen Behörden- und Sicherheitskontext.
Die ballistischen Anforderungen der Klassen stellen sich wie folgt da:
SK | Kaliber | Geschossart | Masse | Geschwindigkeit |
---|---|---|---|---|
L | 9 x 19 mm | Stahl-Vollmantel, Rundkopf, Blei-Weichkern, verzinnt | 8,00 Gramm | 360 m/s +/- 10 m/s |
1 | 9 x 19 mm | Stahl-Vollmantel, Rundkopf, Blei-Weichkern, verzinnt | 8,00 Gramm | 415 m/s +/- 10 m/s |
QD-PEP II/S (Polizeisondergeschoss) | 6,00 Gramm | 460 m/s +/- 10 m/s | ||
Action 4 (Polizeisondergeschoss) | 6,10 Gramm | 460 m/s +/- 10 m/s | ||
2 | .357 Magnum | Vollmessing, Kegelspitzkopf | 7,10 Gramm | 580 m/s +/- 10 m/s |
3 | .223 Remington (5,56 x 45 mm) | Stahl-Vollmantel, Spitzkopf, Blei-Weichkern mit Stahlpenetrator | 4,00 Gramm | 950 m/s +/- 10 m/s |
.308 Winchester (7,62 x 51 mm) | Stahl-Vollmantel, Spitzkopf, Blei-Weichkern | 9,55 Gramm | 830 m/s +/- 10 m/s | |
4 | .308 Winchester (7,62 x 51 mm) | Stahl-Vollmantel, Spitzkopf, Stahlhartkern | 9,70 Gramm | 820 m/s +/- 10 m/s |
Prüfverfahren der TR: Schusswinkel, Distanzen und aufgesetzter Beschuss im Detail
Bei den Schutzklassen SK L bis SK 1 sieht die Technische Richtlinie ein umfassendes Prüfverfahren mit mehreren Beschusswinkeln und Distanzen vor. Zunächst werden vier Schüsse frontal (0°) auf die ballistische Einlage abgegeben. Anschließend folgt ein Winkelbeschuss mit drei Schüssen bei 65°. Zusätzlich wird ein sogenannter aufgesetzter Beschuss durchgeführt, ebenfalls mit drei Schüssen im 0°-Winkel, wobei der Lauf direkt auf die Einlage aufgesetzt wird.
Eine Ausnahme bildet der Beschuss mit Polizeimunition – hier entfällt der aufgesetzte Schuss.
Ab den Schutzklassen SK 2 bis SK 4 reduziert sich der Prüfumfang auf je drei Schüsse bei 0° und 65°. In diesen Klassen wird kein aufgesetzter Beschuss mehr durchgeführt.
Für jeden Beschusswinkel wird eine eigene ballistische Einlage verwendet. Es findet kein Mehrfachbeschuss auf dasselbe Prüfstück statt – 0°- und 65°-Tests erfolgen stets separat.
Die Beschussdistanz beträgt:
- 5 Meter bei SK L bis SK 2 (ausgenommen aufgesetzte Schüsse)
- 10 Meter ab SK 3
Ein besonderes Merkmal der SK L und SK 1 ist der aufgesetzte Beschuss. Dabei wird der Waffenlauf mit einem Druck von 10 Kilogramm direkt gegen die Einlage gepresst und es werden drei Schüsse abgegeben. Dieser Test simuliert ein extremes Nahdistanzszenario, etwa bei einem körperlichen Gerangel. Nicht jede Schutzweste ist konstruktionsbedingt in der Lage, solche Belastungen schadlos abzufangen – genau deshalb ist dieser Test Bestandteil der niedrigeren Schutzstufen.


Verschleißtest im TR-Prüfverfahren für ballistische Schutzwesten
Die Technische Richtlinie (TR) des deutschen Prüfverfahrens legt besonderen Wert auf die Beurteilung der Verschleißfestigkeit von Weichballistik. Hierzu sind spezifische Klimabelastungstests vorgeschrieben, die die Einsatzrealität simulieren und Material wie Verarbeitung auf die Probe stellen.
Zunächst erfolgt eine Klimatisierung der Prüfmuster. Dafür wird je eine Einlage für 16 Stunden unter folgenden Bedingungen im Klimaschrank gelagert:
- bei -20 °C (Kältetest),
- bei +20 °C und 65 % Luftfeuchtigkeit (Normalklima),
- sowie bei +70 °C (Hitzetest).
Die Lagerung erfolgt senkrecht stehend oder hängend, um eine realitätsnahe Belastung zu gewährleisten.
Im Anschluss folgt der eigentliche Verschleißtest: Die Einlage wird für mindestens 16 Stunden bei +40 °C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 90–95 % konditioniert. Eine Besonderheit dieses Tests besteht darin, dass feuchtigkeitsabweisende Hüllen vorab entfernt werden müssen – selbst wenn die ballistische Einlage werkseitig eingeschweißt ist. Dadurch ist das Material direkt den klimatischen Extrembedingungen ausgesetzt. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine realistische Bewertung der Alterungsbeständigkeit und Materialqualität unter Extrembedingungen.
Laut TR wird für ballistische Schutzwesten eine Lebensdauer von bis zu 10 Jahren definiert. Der Verschleißtest ist ein entscheidender Bestandteil, um diese Haltbarkeit nachvollziehbar nachzuweisen.
TR-Schutzklasse erklärt: Unterschiedliche Traumawerte bei Unterzieh- und Überziehschutzwesten
Die Technische Richtlinie (TR) zur ballistischen Schutzwirkung unterscheidet bei der Bewertung des sogenannten Traumawerts zwischen zwei Arten von Schutzwesten: Unterziehwesten und Überziehwesten.
Unterziehschutzwesten – höherer Traumawert erlaubt
Unterziehschutzwesten werden verdeckt unter der Kleidung getragen und liegen somit näher am Körper. Aufgrund dieser Trageweise erlaubt die TR bei dieser Weste einen maximalen Traumawert von 40 mm. Die Grundlage hierfür orientiert sich am amerikanischen NIJ-Standard, wird in der TR jedoch durch eine andere taktische Annahme ergänzt:
Die Unterziehweste soll primär ein sicheres Verlassen der Gefährdungssituation ermöglichen, nicht jedoch die vollständige Einsatzfähigkeit des Trägers nach einem Treffer sicherstellen.
Überziehschutzwesten – geringerer Traumawert für volle Einsatzfähigkeit
Überziehschutzwesten werden offen getragen, z. B. über der Uniform, und sind insbesondere für taktische Einsatzkräfte wie Soldaten, Polizei-Spezialeinheiten oder Sicherheitsdienste vorgesehen.
Hier setzt die TR einen deutlich niedrigeren maximalen Traumawert von 22 mm fest. Der Grund: Diese Westen sollen auch nach einem Treffer die Einsatzbereitschaft des Trägers erhalten. Ein geringeres Trauma reduziert das Risiko innerer Verletzungen trotz Durchschlagshemmung.
Kein Stichschutz im TR-Standard enthalten
Wichtig: Wie auch beim NIJ-Standard enthält die TR keinen integrierten Stichschutztest. Dieser muss gesondert nach einem separaten Stichschutzstandard geprüft werden.

Zusammenfassung ballistische Schutzklassen
Da beide ballistische Standards nun vorgestellt wurden ergibt sich die Frage wo die zentralen Unterschiede liegen. Grundsätzlich kann gesagt werden das der deutsche Standard mehr Bedrohungsszenarien prüft. Sowohl der aufgesetzte Schuss als auch der Beschuss mit Polizeisondergeschossen fehlen im NIJ Standard.
Dafür testet der amerikanische Standard mit großen Kaliber mit hoher Mannstoppwirkung.
Auf deutscher Seite werden zwar kleinere Kaliber und leichtere Geschossen verwendet, diese sind jedoch aggressiver hinsichtlich der Durchschlagskraft. Auf deutscher Seite wird bereits ab SK L mit Stahl-Vollmantel Projektilen getestet während auf amerikanischer Seite lediglich normale Vollmantel Geschosse zum Einsatz kommen. Auf deutscher Seite folgt weitere Munition mit hoher Durchschlagsleistung.
Weiterhin wird eine SK 4 mit 3 Schüssen getestet während Level IV nur 1 Schuss standhalten muss. Level IV schützt hingegen gegen das deutlich stärkere Kaliber 7,62 x 63 mm.
Beim Trauma erlaubt der NIJ Standard über alle Typen maximal 44 mm. Auf deutscher Seite ist ein Traumawert von 40 mm nur bei SK L und SK 1 zulässig. SK 2, 3 und 4 sind als Überziehschutzweste ausgelegt. Dadurch ist für diese nur ein Traumawert von 22 mm zulässig.
Hinsichtlich des Verschleißfestigkeit sind beide Standards trotz unterschiedlicher Testmethoden auf Augenhöhe. Beide Standards garantieren Langlebigkeit und hohe Robustheit der Westen.
Abschließend kann also gesagt werden, dass der NIJ Standard zu empfehlen ist für Träger die Schutz vor einem möglichst großem Kaliber mit durchschnittlichen Projektilen suchen. Ein geringerer Traumwert sowie Multi-Hit-Schutz auf Level IV sind zweitrangig.
Diejenigen die sich gegen möglichst viele Bedrohungsszenarien absichern wollen und die Schutz vor aggressiven Projektilen suchen, ist die Technische Richtlinie zu empfehlen. Die technische Richtlinie ist ebenfalls für diejenigen geeignet, die Wert auf ein geringes Trauma legen und im Bereich SK 4 Multi-Hit-Schutz wünschen.
Ballistische Einlagen und entsprechende Hüllen wie z. B. Plattenträger und Westen gibt es im Zentauron Online-Shop.
Beitrag geschrieben von C.Wächter